Nach der Grenzüberquerung haben wir uns ganz fix im Mrs. Bandari Guesthouse in Amritsar eingenistet. Es war zwar für indische Verhältnisse unverschämt teuer, aber dafür auch sehr schön und Internet war inklusive. In Amritsar steht der „goldene Tempel“ der Sikhs. Das ist ein Tempel der die elemente aller anderen Religionen in sich vereint und das friedliche Zusammenleben predigt. Zufälligerweise bekamen grad bevor wir abreisen wollten den Tip, dass es in Amritsar eine „Kisten-Strasse“ gäbe. In der Kisten-Strasse in Amritsar haben wir uns dann für unser Auto hinten eine Metallbox massschneidern lassen. Die Kiste steht auf der Anhängerkupplung und wir können diese um den Kofferraum aufzumachen runterklappen. So haben wir viel mehr Stauraum gewonnen. Es sieht aber ein bisschen doof aus, was solls.
„Kisten-Strasse“?? Das ist ja so eine Sache mit den „XY-Strassen“. 🙂 In Iran, Pakistan und Indien sind Geschäfte gleichen Typs immer in einer Strasse versammelt. Das ist echt praktisch. Will man zum Beispiel einen Plastiktrichter kaufen muss man in einer Stadt einfach die „Plastiktrichter-Strasse“ oder wenigstens die „Plastik-Strasse“ finden. Dort kann man dann aus verschiedenen Geschäften den besten Trichter aussuchen. So hat man immer gute Auswahl und Vergleichsmöglichkeiten. Wenn man aber einen Plastiktrichter und einen Gasherd will, dann kann es vorkommen, dass man durch die halbe Stadt fahren muss um von der Plastik-Strasse in die Gas-Strasse zu kommen. Meistens läuft aber alles gut ineinander über. In Europa finden wir ja immer alle Sorten von Produkten an einem Ort und wir als Konsumenten können nur Vergleiche zwischen verschiedenen Produkten und Geschäften anstellen, wenn wir bereit sind den Weg zwischen den Geschäften mit ähnlichen Produkten auf uns zu nehmen. Zum Glück gibts das Internet. Ich bevorzuge das „Strassen“ System, denn es gibt mir die Möglichkeit günstiger zu besserer Qualität zu kommen und treibt die Geschäfte an besser zu sein, weil der Konkurrent gleich neben an ist. Es macht auch total Spass in diesen kleinen Spezialisten-Geschäften rumzuschnüffeln, da bekommt man Sachen zu sehen, die sieht man sonst nie. Ich finde es eigentlich schade, dass bei uns die Spezialisten eingehen und nur noch die Grossdiscounter bleiben. Die Vielfalt an Produkten und die Qualität der Beratung ist dann schlechter und ich finde das bedauernswert.
In Amritsar war es Nachts im Dezember immer noch ziemlich kalt und wir wollten so schnell wie möglich an die Wärme. Die Flucht vor der (wenigstens Nachts) Kälte war für uns seit der Türkei die treibende Kraft. Vielleicht fast zu treibend. Nachdem wir uns in Amritsar während ein paar Tagen ein wenig von Pakistan erholt hatten, machten wir uns also wieder auf den Weg nach Süden. Zuerst schauten wir noch bei der Toyota Vertretung in Amritsar vorbei, die haben einen Stossdämpfer gecheckt (Pakistan war rau, aber anscheinend nich zu rau, der Stossdämpfer war ok) und unsere Mathmi gewaschen. Alles gratis, Tee gabs auch noch 🙂
Wir genossen es sehr endlich in einem Land zu sein in dem Vegetarier sein normal ist und die Frage nach fleischlosen Gerichten nicht grenzenloses Staunen hervorruft, sondern gar nicht erst nötig ist. Wir freuten uns wirklich sehr auf Indien, doch unserer Freude wurde ziemlich schnell ein Dämpfer versetzt, denn der Verkehr in Indien ist, seit wir vor 5 Jahren mal da waren, noch schlimmer geworden.
Indiens Strassen sind etwa so wie wenn man 100 Millionen 5-Jährigen Lastwagen, Busse, Autos, Motorräder, Rikschas, Fahrräder, Elefanten, Dromedar-Zugwagen und „ich habe keine Beine Rollbretter“ gibt und schaut was dabei rauskommt. Viele Autos haben nicht einmal Rückspiegel, oder nur einen und das nicht weil sie abgebrochen sind, sondern weil sie ab Werk keinen linken Spiegel haben. Das alleine sagt viel über den Fahrstil der Inder aus. Inder schauen nur nach vorne und das einzige was für sie zählt ist ihr eigener Vorteil. Wer den Vorteil bekommt bestimmt die Grösse des Fahrzeugs und die Bereitschaft sein Fahrzeug zu beschädigen. Lastwagen sind gross und sie scheren sich nicht um „Kratzer“ und somit machen sie was sie wollen. Selbst dreispurige Autobahnen sind verstopft auch wenn es wenige Fahrzeuge hat, weil drei Lastwagen mit Höchstgeschwindigkeiten von 40kmh, 41kmh und 42kmh alle drei Spuren verstopfen und gleichzeitig links noch einen Elefanten überholen. Alle Lastwagenfahrer haben eine andere Philosphie, einige denken sie fahren immer links, andere immer rechts, andere immer in der Mitte oder Slalom irgendwo. Autofahrern und uns bleibt zum Vorwärtskommen nur das Slalom um die Laster. Aus dem Weg gehen die Laster sicher nie, denn sie stehen in der Hirarchie ganz oben. Es ist echt anstrengend hier zu fahren. Die einzige Lösung ist sich damit abzufinden nur mit 35kmh vorwärs zu kommen, das ist bei Indiens Grösse aber nicht immer lustig, denn so kommt man kaum vorwärts. Normale Strassen mit einer Spur pro Richtung haben wir versucht zu vermeiden, denn was sich dort Überholmanövern abspielt entbehrt jedem gesunden Menschenverstand. Indiens Verkehr ist lebensgefährlicher und eine realere Gefahr als die Gefahr in Pakistan von Taliban erschossen zu werden.
Als wir in Jaipur versucht haben auf einen Highway zu kommen sind wir diesem längs auf einer winzigen Strasse gefolgt. Es war schon dunkel und wir wollten nur noch aus der Stadt raus. An der Strasse wurde wohl tagsüber gearbeitet, denn die linke Spur war nach einer kleinen Schwelle nur Sand und damit niemand dort hinunter fährt lagen dort entlang der Asphaltspur grosse Steine. Rechts ging die verbleibende Asphaltspur direkt fliessend in Sand über. Wir fuhren also ganz links (linksverkehr) entlang der Steine und der Gegenverkehr wich auf den Sand aus. So ging das eine Weile gut doch dann kam ein Traktor mit einem breiten Anhänger und einem Affenzahn (im Hinblick auf die Dunkelheit und den Platz der zur Verfügung stand) auf uns zu. Er wich nicht aus. Im letzten Moment habe ich noch versucht so nahe es nur ging an die Steine ran zu kommen ohne sie zu rammen, doch das und auch das obligatorische Hupen nützte nichts mehr. Der Traktor behielt seinen Kolisionskurs bei und erwischte mit einem Anhänger unseren rechten Kotflügel und den Seitenspiegel. Der Spiegel schlug gegen das Fenster welches auch gleich in 1000 Teile zersprang. Der Traktor wollte nicht ausweichen, denn er war grösser als wir, also durfte er das. Ihm ist „entgangen“, dass wir nicht ausweichen konnten. Er hat kurz gebremst und war weg bevor ich ihn erwischen konnte. Vielleicht war er besoffen, dumm oder einfach ein Arschloch, so oder so, das ist Indien und es ist jetzt sein Karma. Linda ist zum Glück nichts passiert, Sicherheitsglas sei dank.
Ein kaputtes Fenster und kein Seitenspiegel, für uns bedeutete das, dass wir unser Auto nicht mehr alleine lassen konnten und selbst in der Nacht nicht sicher waren. Das ist bei unserer Art des Reisens und Langfinger-Land Indien sehr ungünstig. Toyota Jaipur war zum Glück nicht weit, doch die haben in ihrem Leben noch keinen HiAce gesehen. Sie vermittelten uns zu jemandem in Delhi, der anscheinend alles auftreiben konnte. Wir fuhren also einen Tag lang zurück nach Delhi um das sagenhafte Geschäft aufzusuchen welches definitiv bestätigte eine rechte Seitenscheibe für einen Toyota HiAce mit unserer Chassisnummer zu haben. Auf den letzten Drücker kamen wir abends in Delhi an und fanden ein winziges Geschäft in einem grossen „Autoteilegeschäfte-Haus“. Ach so, mal keine „Autoteile-Strasse“?
Kurze Zeit später begannen zwei Typen die eher aussahen als ob sie Autos stehlen und nicht reparieren auf dem Parkplatz, bei Dunkelheit unsere rechte Tür auseinander zu „schrauben“. Als Licht diente ihnen ein Handy bis wir unsere „Aussenbeleuchtung“ zur Verfügung stellten. Wir trauten unseren Augen kaum, doch was waren die Alternativen? Schliesslich versuchten sie dann die Scheibe einzubauen, was natürlich kläglich misslang. Die Scheibe war für einen asiatischen HiAce, die sehen anders aus. Enttäuscht und mit einem halbpatzig zusammengebauten Auto mussten wir noch eine Nacht mit offenem, bzw. zugeklebtem Fenster verbringen.
Am nächsten Morgen wurden wir dann zu einem anderen Geschäft vermittelt, welches eine Scheibe aus Plexiglas nach dem Muster der linken Seitenscheibe zuschnitt und nach gut Glück mit dem Heissluftföhn ein bisschen gebogen hat, da die originale Scheibe ja nicht flach war. Shiva seid dank! Das Fenster passte! Allerdings können wir das Fenster nur noch zu machen wenn wir es gleichzeitig mit einem Saugnapf gegen innen ziehen und weil es Plexiglas ist, verkrazt es sich sehr schnell. Indisch halt. Bis zu Hause muss das aber reichen. Ich habe gelernt wie man eine Seitenscheibe auswechselt. Die Halterung für den Spiegel habe ich selbst wieder zurecht „gespenglert“, so dass wir wenigstens einen Typenfremden Spiegel so la la montieren können. Wir haben uns dabei übrigens auch gleich eine neue Hupe zugelegt. Bzw. zwei, in verschiedenen Tonlagen. 122dB… vor dem Auto stehen wenn wir Hupen ist nicht lustig. 😉
Delhi selbst, respektive Süd-Delhi, hat uns fast umgehauen. Das was wir dort zu sehen bekamen war das modernste und rausgeputzteste seit Griechenland. Ganz und gar nicht das Indien, dass wir kennen. Insgesamt hat Indien gewaltige Vortschritte gemacht. Strassen und Infrastruktur haben sich merklich weiter entwickelt und wenn die Inder wenigstens annähernd Autofahren könnten oder so etwas wie Regeln wenigstens entfernt befolgen würden, würden die guten Strassen sogar etwas nützen.
Wir hatten von Kälte und Verkehr dann erst mal die Nase voll und entschlossen uns so schnell wie möglich nach Goa, Agonda zu düsen um uns dort mal so richtig auszuspannen und zu erholen. Nicht, dass wir uns nicht schon unterwegs erholt hätten, doch vermissten wir die Wärme und die Möglichkeit mal mehr als nur ein paar Tage an einem Ort zu verweilen. Wir fuhren und fuhren und wie bei einem Download im Internet der bei 99% abbricht hatten wir 180km vor unserem „Zielstrand“, kurz vor der Grenze zur Provinz Goa, nach gut 16000 km seit der Schweiz doch glatt noch einen Platten. Ein Nagel. In dem Rad, dass schon in der Schweiz VOR der Abfahrt platt war und aufgrund der komplizierten Natur des Risses im Reifen einen Schlauch bekommen hat. Wir waren grad mitten in einer Kleinstadt und ruckzuck standen natürlich die üblichen 30 Inder um uns rum und beobachteten aufmerksam wie ich das Rad gewechselt habe. (auf dem Bild ist der „Mob“ erst am entstehen) Die 30 Inder stehen übrigens innert kürzester Zeit in einer Traube um uns herum, egal wo wir halten. Eigentlich ist das wirklich sehr süss und ich finde Neugier eine tolle Charaktereigenschaft, doch trotzdem, zum Teil nervt das total, denn das Gefühl für „Distanz“ ist in Indien ganz anders als bei uns. Ausserdem wollen sie sich natürlich immer mit uns Fotografieren, zuerst der, dann der, dann der mit dem und noch ohne den. Wir kommen uns manchmal vor wie Tiere im Zoo. Am Anfang ist das noch lustig, aber mit der Zeit nervte es nur noch weil wir mit den Nerven wegen dem Unfall und dem Verkehr ziemlich runter waren. Wir bekommen dafür eine Ahnung wie das Stars wohl gehen muss, wenn man keinen Schritt auf der Strasse machen kann ohne, dass 30 Leute um dich rumstehen und sich mit dir fotografieren wollen. Wir verstehen nicht warum die Inder darauf so scharf sind. Es geht allen Overlandern so.
Das Rad war dann zum Glück schnell geflickt. Nagel raus, neuer Schlauch rein, fertig. Ein „Reifendoktor“ war auch nicht weit.
In Indien ist mir etwas aufgefallen. Vorurteile! Ich schäme mich immer sehr wenn ich mich dabei ertappe welche gehabt zu haben und gebe mir immer sehr Mühe gut zu differenzieren. Umgekehrt aber, die Vorurteile, die total undifferenzierte Betrachtungsweise der Iraner, Pakistani, Inder uns gegenüber, die sind mir erst mit der Zeit bewusst geworden. Die zwei nervigsten:
1: Weisse Europäer sind reich, so reich, dass sie sich ALLES kaufen können.
2: Weisse Europäer können keine handwerklichen Arbeiten machen.
Nummer 1 ist besonders in Indien schlimm, denn fast jeder versucht uns hier abzuzocken so gut es geht. VIEL schlimmer als in allen andern Ländern bisher. Nummer 2 ist nervig, wenn uns jemand zusieht, wenn wir eine beliebige handwerkliche Arbeit am oder um den Bus machen. Ich habe gelernt wie es Frauen gehen muss wenn sie versuchen einen Nagel einzuschlagen und sofort steht ein Mann da und nimmt ihnen das Werkzeug aus der Hand und macht es für sie. Uns geht es hier (ausser beim Reifenwechsel) ständig so und wenn ich mich dann mit einem Werkzeug wider ihrer Erwartung ganz geschickt anstelle staunen sie Bauklötze, denn meistens sind die „Helfer“ selbst handwerklich sehr ungeschickt und machen mehr kaputt, als sie helfen.
Indien ist Indien, auch beim dritten mal bringt es mich wieder an meine Grenzen, auch dieses mal wieder im Strassenverkehr. Letztes mal mit dem Motorrad war es weniger nervend, dafür anstrengender. Schlussendlich haben wir uns dann nach Agonda an den Strand zurückgezogen, hier ist es (manchmal) still und friedlich 🙂 Indien gefällt mir trotzdem nach wie vor, aber mit dem Auto ist das Land nicht besonders zu empfehlen.